Die Gießener Free School gibt es nun schon seit fast drei Jahren. Alexandra Böckel, die das Projekt 2012 mit zwei weiteren Personen ins Leben gerufen hat, berichtet im Frauenkulturzentrum, was sich seitdem getan hat und wie bürgerschaftliche Mitgestaltung auf nicht-kommerzieller Basis möglich ist.
„Am Anfang hätten wir nicht gedacht, dass sich die Free School so etablieren würde. Es war gut, dass wir damals nicht nur darüber geredet, sondern es auch gemacht haben“, sagt Alexandra Böckel. Sie erzählt, wie alles vor drei Jahren begann, wie sie eine Kleidertauschparty organisieren wollte aber nicht sicher war, wie man möglichst viele Menschen in der Stadt am besten zusammen bringen kann. Wie man sich mit Menschen vernetzen und gemeinsamen Interessen nachgehen kann, ohne dass man im Alltag unbedingt mit ihnen zu tun hat. Da war ihr damaliger Mitbewohner Jesse Jacovini, der von den Free Schools in den USA erzählte. „Die Free School ist nicht wie eine Schule, sondern eher wie ein Nachbarschaftsprojekt, in dem jede Person etwas anderes gut kann. Alles ist kostenlos und jeder bringt sich so weit ein, wie es passt. Also haben wir angefangen Ideen zu sammeln, was wir in Gießen gerne hätten.“
Die Free School startete 2012 mit dem Näh- und Strickcafé, der Fahrradreparaturhilfe und dem Buchclub. „Wir haben zuerst in unserem Bekanntenkreis herumgefragt, ob Leute Lust hätten, bestimmte Sachen anzubieten, danach wurde es zum Selbstläufer.“ Mittlerweile kann die Free School auf über 40 Veranstaltungen zurückblicken. Einige haben sich etabliert. Rund 15 Veranstaltungen finden derzeit regelmäßig statt. Andere sind einmalige Aktionen, wie beispielsweise die Kleidertauschparties, von denen es inzwischen mehrere gab.
„Ein Merkmal ist, dass die Workshops oder Veranstaltungen meist nicht frontal stattfinden, wie wir es aus der Schule kennen, sondern eher in kooperativer Form. Beim AutorInnen-Treff zum Beispiel geben sich die Teilnehmenden gegenseitig Feedback. In der Fahrradwerkstatt wird gemeinsam überlegt, wie eine knifflige Sache gelöst werden kann“, beschreibt Böckel das Besondere an den Free School Kursen. „Ein weiterer Aspekt ist das Bewahren. Ein Fahrrad, bei dem sich eine professionelle Reparatur nicht lohnen würde, kann auf diese Weise mit gebrauchten Ersatzteilen wieder fahrtüchtig gemacht werden. Ähnlich wie beim Reparatur-Treff, wo man Elektrogeräte mit etwas Glück wieder fit machen kann.“ Böckel merkt auch an, dass das Angebot nicht auf professionellem Niveau stattfinden muss. „Das ist von Vorteil. Die Free School bietet Möglichkeiten, sich auszuprobieren. Einige bieten zum Beispiel einen Kurs an, um zu erfahren, wie es ist, eine Gruppe zu leiten. Es ist angenehm in einer Atmosphäre zu arbeiten, die stressfreier ist als die, die man aus dem Beruf kennt. Sobald man dafür bezahlt wird, steht ein anderer Druck dahinter.“
Allerdings gibt es auch negative Erfahrungen. Böckel erzählt, dass der Büchertauschschrank im Garten der Kü-Ché in letzter Zeit regelmäßig ausgeräumt wird. „Jemand sucht sich regalweise die besten Bücher heraus. Das ist nicht Sinn des Tauschschranks. Es ist ein trauriges Beispiel, wie eine einzige Person einen ganzen gemeinschaftlichen Kosmos kaputt machen kann.“ Seitdem habe sie notgedrungen ein Schloss angebracht und der Büchertauschschrank sei nur noch zu den Öffnungszeiten der Kü-Ché zugänglich.
Eine Kritik, die hin und wieder geäußert wird, ist die Befürchtung, die Free School Kurse könnten kommerziellen Angeboten Konkurrenz machen und somit Personen vom Markt verdrängen, die auf ihre Einkommensquelle angewiesen sind. „Interessanterweise hören wir diese Kritik nie von Leuten, die tatsächlich professionell Sport- oder andere handwerkliche Kurse anbieten.“ Dass die Free School nicht wirklich mit kommerziellen Angeboten konkurriert, liege daran, dass sich die Free School Kurse von den professionellen Angeboten in ihrer Machart deutlich unterscheiden. „Am Beispiel der Fahrradwerkstatt kann man das gut sehen. Wenn ich mich entscheide, mein Fahrrad selbst zu reparieren, ist das eine ganz andere Intention, als es im Fahrradladen abzugeben. Da kommen sich die Zielgruppen gar nicht in die Quere.“
Eine Person aus dem Publikum merkt an, wie schön sie es fände, wenn im Theaterpark Tai Chi angeboten würde und man einfach spontan mitmachen könnte. Böckel ermuntert: „Wir können uns alle mal umhören, ob uns Leute einfallen, die so etwas machen würden.“ In diesem Sinne schließt sie auch ab: „Wenn ihr etwas gut könnt: bietet es an!“